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Wie introvertiert bist Du wirklich?

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Die Psychologie unterscheidet jeden Menschen anhand von 5 Eigenschaften. Eine davon ist die Extraversion. Obwohl sie so wichtig ist, verstehen die meisten sie falsch. Bist Du introvertiert oder extrovertiert? Ist nur eine Frage, die es lohnt sich selbst zu stellen. Wir klären das und auch, ob diese laute Welt nicht viel mehr stille Menschen braucht. Welche Stärken haben introvertierte Menschen, die extrovertierte nicht haben? 

Die Big Five

Carl Jung, der Begründer der analytischen Psychologie, gilt als der erste, der die Begriffe »introvertiert« und »extrovertiert« verwendete. Die Extraversion wird zu den sogenannten Big Five gezählt, jenen fünf Eigenschaften, mit denen sich die Persönlichkeit fast jedes Menschen recht gut erfassen lässt. Wie diese wissenschaftliche Theorie entstanden ist, kannst Du in einem Beitrag des Geo-Magazins nachlesen.

Das extrovertierte Hirn

Könnte es sein, dass sich extrovertierte Menschen darin unterscheiden, wie aktiv ihr Dopamin im Kopf ist? Dieser chemische Botenstoff spielt im Gehirn eine große Rolle, wenn es um Belohnung, Lernen und die Reaktion auf Neues geht.

Forscher unter der Leitung von Michael Cohen konnten diese Ideen in einer 2005 veröffentlichten Arbeit testen. [1] Sie baten Versuchspersonen, im Gehirnscanner eine Glücksspiel-Aufgabe zu lösen. Die Analyse der Bilder aus dem Scanner zeigten, wie sich die Gehirnaktivität zwischen Extrovertierten und Introvertierten unterschied. Als sich im Glücksspiel gewannen, zeigte die extrovertiertere Gruppe eine stärkere Reaktion in zwei entscheidenden Gehirnregionen: der Amygdala und dem Nucleus accumbens. Die Amygdala ist für die Verarbeitung emotionaler Reize bekannt, und der Nucleus accumbens ist ein wichtiger Teil des Belohnungsschaltkreises im Gehirn und Teil des Dopaminsystems. Die Ergebnisse bestätigen die Theorie, dass extrovertierte Menschen Belohnungen anders verarbeiten.

Es liegt an der Erregung

Eine weitere Theorie, wie sich Extorvertierte und Introvertierte unterscheiden, ist das Level an Erregung. Erregung im physiologischen Sinne ist das Ausmaß, in dem unser Körper und Geist wach und bereit sind, auf Reize zu reagieren. In den 1960er Jahren machte der Psychologe Hans Eysenck den Vorschlag, dass extrovertierte Menschen durch ein chronisch niedrigeres Erregungsniveau gekennzeichnet sind. Eysencks Theorie besagt, dass extrovertierte Menschen von Natur aus eine etwas niedrigere Erregungsrate haben. Sie müssen sich demnach ein wenig mehr anstrengen, um auf das Niveau zu kommen, das andere als normal und angenehm empfinden, ohne etwas zu tun. Eine neue Studie konnte genau das zeigen. [2) Warum es evolutionär gesehen sowohl positiv sein kann, als auch negativ, extrovertiert zu sein, fasst eine Übersichtsarbeit des amerikanischen Psychologen Aaron Lukaszewski zusammen. [3]

Mütter wünschen sich extrovertierte Babys

Wenn sich britische Mütter aussuchen könnten, welche Eigenschaft ihre Babys haben, dann steht ganz oben Extraversion. [4] Und das kommt nicht von irgendwo. Eine hohe Extraversion bringt Vorteile. So verfügen hochgradig extravertierte Personen im Vergleich zu introvertierten Personen über größere kooperative Netzwerke, sind in der Liebe erfolgreicher und erreichen mit größerer Wahrscheinlichkeit Positionen mit hohem sozialem Status und Führungspositionen. [3]

Sollen wir so tun, als wären wir extrovertiert?

Forscher von der Universität Melbourne haben eine Intervention durchgeführt, in der die Versuchspersonen sich extrovertierter verhalten sollten. [5] Im Durchschnitt war die Aufgabe »verhalte dich wie ein Extravertierter« mit dem Erleben von mehr positiven Emotionen verbunden. Allerdings war dieser Effekt bei den von Grund auf introvertierteren Versuchspersonen nicht so stark ausgeprägt. 

Die Revolution der Introvertierten

Auch introvertiert sein, hat Vorteile. Diese hebt Susan Cain hervor, in ihrem 2012 erschienen Bestseller »Still: Die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt«. [6] Die amerikanische Schriftstellerin und Dozentin argumentiert darin, dass die moderne westliche Kultur die Eigenschaften und Fähigkeiten introvertierter Menschen missversteht und unterbewertet. Davon erzählt sich auch in ihrem millionenfach geklickten TED-Talk. Mit ihrer Quiet Revolution hebt Susan Cain hebt, was Introvertierte gut können, wie tiefgründige Gespräche führen, alleine arbeiten oder gut zuhören. [7] Ähnlich sieht es die Wissenschaftlerin Jule Specht und differenziert im Gespräch mit Deutschlandfunk Nova Introversion ganz klar von Schüchternheit.

Quiet Ego für die Extrovertierten

In den letzten Jahren haben Heidi Wayment – Sozial- und Gesundheitspsychologin an der Northern Arizona University – und ihre Kollegen ein Forschungsprogramm zum »Quiet Ego« entwickelt, das auf der buddhistischen Philosophie und den Idealen der humanistischen Psychologie beruht und durch empirische Forschungen auf dem Gebiet der positiven Psychologie gestützt wird.

Paradoxerweise stellt sich heraus, dass die Beruhigung des Egos viel effektiver ist, wenn es darum geht, Wohlbefinden, Wachstum, Gesundheit, Produktivität und ein gesundes, produktives Selbstwertgefühl zu kultivieren, als sich so sehr auf die Selbstverbesserung zu konzentrieren. Nach Bauer und Wayment besteht das ruhige Ich aus vier tief miteinander verbundenen Facetten, die kultiviert werden können. Diese beschreiben sie in dem Artikel von Scientific America

End of History Illusion

Du willst deine Persönlichkeit verändern? Dann aber richtig. Wenn Du auf die vergangenen zehn Jahre deines Lebens zurückblickst: Hast Du dann das Gefühl, dich verändert zu haben? Denke nun an die kommenden zehn Jahre: Wie sehr wirst Du dich vermutlich verändern? Wenn Du weniger Veränderungen für die nächsten zehn Jahre erwartest, als in den letzten zehn Jahren, dann geht es dir wie den meisten Menschen. Dieser Effekt mit dem Namen End of History Illusion wurde von einem Team um Daniel Gilbert von der Harvard-Universität beobachtet. Es beschreibt die verbreitete Illusion, dass Menschen dazu tendieren, zu glauben, sie hätten sich in der Vergangenheit zwar maßgeblich verändert, in der Gegenwart aber einen Endpunkt in ihrer Entwicklung erreicht. Wir unterschätzen also vor uns liegende Veränderungen. [8]


QUELLEN

[1] Cohen, M. X., Young, J., Baek, J. M., Kessler, C., & Ranganath, C. (2005). Individual differences in extraversion and dopamine genetics predict neural reward responses. Cognitive brain research, 25(3), 851-861.

[2] Jawinski, P., Markett, S., Sander, C., Huang, J., Ulke, C., Hegerl, U., & Hensch, T. (2021). The Big Five Personality Traits and Brain Arousal in the Resting State. Brain sciences, 11(10), 1272.

[3]  Lukaszewski, A. W., & von Rueden, C. R. (2015). The extraversion continuum in evolutionary perspective: A review of recent theory and evidence. Personality and Individual Differences, 77, 186-192.

[4] Latham, R. M., & Von Stumm, S. (2017). Mothers want extraversion over conscientiousness or intelligence for their children. Personality and Individual Differences, 119, 262-265. 

[5] Jacques-Hamilton, R., Sun, J., & Smillie, L. D. (2019). Costs and benefits of acting extraverted: A randomized controlled trial. Journal of Experimental Psychology: General, 148(9), 1538.

[6] Cain, S. (2013). Still: die Bedeutung von Introvertierten in einer lauten Welt. Riemann Verlag.

[7] Cain, S. Secrets of a Super Successful Introvert: How to (Quietly) Get Your Way. oprah.com

[8] Quoidbach, J., Gilbert, D. T., & Wilson, T. D. (2013). The end of history illusion. science, 339(6115), 96-98.

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