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Guter Selbstbetrug

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Selbstbetrug begehen wir alle. Und die, die das nicht zugeben, sind dabei noch die schlimmsten. Wir machen uns schöner, schlauer, hilfsbereiter als wir in Wirklichkeit sind. Doch es geht auch umgekehrt. Manche machen sich immer wieder schlechter, inkompetenter oder hässlicher als die Realität. Beides hat ein Ziel! Welches und warum es so schwer ist, den Selbstbetrug zu stoppen klären wir für euch. Dabei fällt vor allem auf: Selbstbetrug ist oft gar nicht so schlecht sondern für viele sogar richtig gut. Wie immer erwartet euch der Mix aus Psychologie und Leben.


Was ist Selbsttäuschung?

Menschen manipulieren nicht nur andere, sondern auch sich selbst, sagt der Forscher und Psychotherapeut Rainer Sachse in seinem Buch »Manipulation und Selbsttäuschung«. Er bezeichnet die Neigung zur Selbsttäuschung als tief in uns verwurzelt, als »universelles Phänomen«.

Bei Selbsttäuschung sehen wir die Welt so, wie wir sie uns wünschen, nicht so wie sie ist. Wichtig ist: Selbstbetrug ist anstrengend. Sich eine Realität zu konstruieren, die nicht der Realität entspricht, ist aufwendig. [1]


Warum täuschen wir uns selbst?

Selbsttäuschung ist nicht per se schlecht. Wir alle täuschen uns selbst. Bis zu einem gewissen Grad ist das normal und gesund. Das zeigt depressiver Realismus. [2] Wichtig, so Rainer Sachse, ist die Art der Selbsttäuschung.

Selbstbetrug ist ein Versuch des Selbstschutzes, der Selbstverteidigung oder der Selbstverbesserung. [3] Wir wollen unseren inneren Standards genügen und unsere negativen Selbstschemata kompensieren, die unserem Selbstimage entsprechen. Dieses Selbtimage wollen wir glauben, weil es viele interne Vorteile hat. Es geht nicht darum, das es stimmt. Wie stark wir davon überzeugt sind, dass unser Selbstimage stimmt hängt von der Stärke des Glaubens ab und dem Ausmaß der Zweifel.[1]


Forschung zu Selbsttäuschung

Beginnen wir mit der Forschung von Zoë Chance, einer außerordentlichen Professorin für Marketing an der Yale University. In einem genialen Experiment aus dem Jahr 2011 zeigte sie, dass viele Menschen unbewusst Selbsttäuschung betreiben, um ihr Ego zu stärken. [4]

Eine Gruppe von Teilnehmer:innen wurde gebeten, einen IQ-Test zu absolvieren, wobei eine Liste mit den Antworten unten auf der Seite abgedruckt war. Wie zu erwarten war, schnitten diese Personen deutlich besser ab als eine Kontrollgruppe, die keinen Antwortschlüssel hatte. Sie schienen jedoch nicht zu erkennen, wie sehr sie sich auf den Spickzettel verlassen hatten – denn sie sagten voraus, dass sie bei einem zweiten Test mit weiteren hundert Fragen ohne den Antwortschlüssel genauso gut abschneiden würden. Irgendwie hatten sie sich selbst vorgegaukelt, dass sie die Lösungen der Aufgaben kannten, ohne die Hilfe zu benötigen.

Eine Studie unter der Leitung von Uri Gneezy, Wirtschaftsprofessor an der Universität von Kalifornien hat gezeigt, dass Selbsttäuschung uns helfen kann, potenzielle Interessenkonflikte bei unserer Arbeit zu rechtfertigen. [5] Die Versuchspersonen entschieden sich in ihrer Rolle als Anglageberater:innen für die Möglichkeiten, die für sie selbst die meisten Vorteile hatten und nicht für ihre Kund:innen, wenn ihnen zu Beginn des Experiments mitgeteilt wurde, dass sie eine Provision erhalten würden. 


Was kostet uns Selbsttäuschung?

Selbsttäuschung hat Kosten. Wie hoch diese sind und welcher Art sie sind, hängt allerdings stark vom Ausmaß und von der Art der Selbsttäuschung ab. Sachse beschreibt das in seinem Buch sehr schön: [1] Wenn ich z.B. das Selbstimage habe »in Extremfällen mutig zu sein« hat das wenig Auswirkungen, weil solche Extremfälle selten bis gar nicht eintreten. Wenn ich hingegen denke, dass ich großartig und kompetent bin, ohne es zu sein, kann mir dies z.B. im Beruf zum Verhängnis werden.

Außerdem kommen meistens auch mehr oder weniger Zweifel durch, die an unserem falschen Selbstimage kratzen. Das kann zu einem inneren Dauerkonflikt führen. Nicht zuletzt ist die Aufrechterhaltung eines falschen Selbstimages mit ständigem Energieaufwand und Anstrengung verbunden.

Ein klassisches Beispiel für einen kostspieligen Selbstbetrug ist das »Impostor-Phänomen«. [6]


Wie können wir mit Selbsttäuschung umgehen?

Selbsttäuschung ist normal – die Dosis macht’s!

Wir alle machen uns in bestimmten Bereichen etwas vor, und in vielen Fällen ist dies auch gar nicht problematisch. Sachse unterscheidet hier fünf Stufen von Realitätsverzerrung. Je höher die Stufe, desto problematischer wird die Selbsttäuschung für uns selbst. [1]

Selbsttäuschung kann auch andere beeinflussen

Der Evolutionsbiologe Robert Trivers stellte die Theorie auf, dass wir uns selbst täuschen oder die Realität aktiv falsch darstellen, in der Hoffnung, andere besser zu täuschen oder uns für eine bessere Zukunft zu rüsten. [3]

Diese Selbstlügen verzögern die Veränderungen, die wir vornehmen müssen, und begünstigen unsere Lügen gegenüber anderen. In der Tat ist die Selbsttäuschung eine klassische Technik der manipulativen Überredung. Wie ein altes Sprichwort sagt: »Es ist keine Lüge, wenn du sie glaubst«. [7]

Werde dir den Nachteilen von Selbstbetrug bewusst

Wenn man sich seiner Fehler absichtlich nicht bewusst ist, kann man sie nicht korrigieren. Wie Steven Pinker, der Autor des Buches Rationality, sagt: »Welche Vorteile die Selbsttäuschung auch immer für die Motivation haben mag...sie muss gegen den offensichtlichen Nachteil abgewogen werden, dass man nicht aus Fehlern lernt.« Die Forschung zeigt, dass Selbsttäuschung mit der Unfähigkeit einhergeht, unsere eigenen Fehler zu erkennen, was die Selbstverbesserung erschwert. [7]

Was ist dein sekundärer Gewinn?

Es ist wichtig, den Gründen für die Lüge auf den Grund zu gehen, sagt Psychotherapist Terri Cole. Wenn man sich vor Augen führt, dass die Selbsttäuschung einen wahrscheinlich in unbefriedigenden Gewohnheiten, Situationen und Beziehungen festhält, kann dies als Motivation dienen, die Ursache des Problems zu untersuchen.

Schau dir Stellen in deinem Leben an, an denen Du dich festgefahren fühlst und frage dich: »Was kann ich nicht sehen, nicht fühlen oder nicht erleben, wenn ich hier festsitze?« sagt Cole.

Durch die Beantwortung dieser Frage, so Cole, enthüllen wir den sekundären Gewinn, d.h. den unsichtbaren Nutzen, den wir aus dem Festhalten an der Selbsttäuschung ziehen. [3]

Hinterfrage alles

Wenn Du in provokativer Weise zunächst mal davon ausgehst, dass hinter jeder Überzeugung, jeder Tatsache, die Du über dich glaubst, eigentlich eine Lüge und eine Selbsttäuschung steckt, prüfst Du jede Geschichte, die Du dir selbst erzählst kritisch. [8] Dabei kann helfen, alle Gründe dafür aufzuzählen, warum deine Überzeugungen falsch sein könnten. [9]

Willst Du überhaupt die Wahrheit?

Dann starte mit kleinen Taten des Widerstands (small acts of defiance). Ein Beispiel: Worüber lachen Leute wahrscheinlich hinter meinem Rücken? Mach dir eine Liste mit Macken und Schwächen, und stell dir vor, dass Du auch darüber lachst. Später kannst Du versuchen aus der Vorstellung rauszugehen und wirklich mit anderen über diese Eigenschaften scherzen. Wenn dir das Angst macht, stell dir folgende Frage: Möchte ich lieber, dass man hinter meinem Rücken oder mit mir lacht? [7]


QUELLEN

[1]  Sachse, R. (2014). Manipulation und Selbsttäuschung: Wie gestalte ich mir die Welt so, dass sie mir gefällt: Manipulationen nutzen und abwenden. Springer-Verlag.

Sachse, R. (2020). Psychologie der Selbsttäuschung. Heidelberg: Springer.

[2] Wangerin, A. (2019). Lüge und Selbstbetrug – wie wir andere und uns selbst erfolgreich belügen. Selfapy. 

Thomas, J. (2022). What Is Depressive Realism? Betterhelp. 

Triandis, H. C. (2013). Self-deception: An introduction. Acta de investigación psicológica, 3(2), 1069-1078.

[3] Styx, L. (2022). Why do we deceive ourselves? VerywellMind.

[4] Chance, Z., Norton, M. I., Gino, F., & Ariely, D. (2011). Temporal view of the costs and benefits of self-deception. Proceedings of the National Academy of Sciences, 108(supplement_3), 15655-15659.

[5] Gneezy, U., Saccardo, S., Serra-Garcia, M., & van Veldhuizen, R. (2020). Bribing the self. Games and Economic Behavior, 120, 311-324.

[6] Kay Brauer, René T. Proyer. The Impostor Phenomenon and causal attributions of positive feedback on intelligence tests. Personality and Individual Differences, 2022; 194: 111663 DOI: 10.1016/j.paid.2022.111663

[7] Brooks, A. C. (2021). Quit Lying to Yourself. The Atlantic.

[8] Wahler, H. Selbsttäuschung: Den eigenen Lügen auf der Spur (Selbstbetrug). Mind your life.  

[9] Robson, D. (2022). How self.deception allows people to lie. BBC.  

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