Ich will mich verändern

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Lange herrschte in der Psychologie der Glaube, unsere Persönlichkeit ist fix. Das heißt, so wie wir sind, werden wir geboren. In den letzten Jahren gab es einen radikalen Kurswechsel. Neue Forschungsergebnisse zeigen: Wir können uns verändern. Was das erste Kind damit zu tun hat, worum es beim »Dolce Vita Effekt« geht und wie wir laut zwei Expertinnen unsere Persönlichkeit wirklich weiterentwickeln, klären Atze und Leon in der Folge. 


Kennst Du schon Leons Klub? Dort begibst Du dich gemeinsam mit Leon und anderen Mitgliedern auf eine spannende Reise in die Welt der Psychologie. 


Zwei Persönlichkeits-Expertinnen

Diese Betreutes Fühlen-Folge knüpft an die beiden Folgen vom November 2020 an »Wer bin ich wirklich?« und »Wer bin ich wirklich... und wo kann ich suchen?«. Dafür haben wir zwei absolute Expertinnen auf dem Gebiet befragt, Prof. Dr. Eva Asselmann und Dr. Christina Berndt.


Persönlichkeitsentwicklung geht in die falsche Richtung

Unsere Persönlichkeit verändert sich. Da ist sich die Wissenschaft mittlerweile einig und rückt damit von dem starren und unveränderlichen Blick auf unser Ich ab, der jahrzehntelang dominierte. »Es geht darum, sich anzugucken, wie sich die Persönlichkeit willentlich und unwillentlich verändert, ohne das erstmal als positiv oder negativ zu sehen«, sagt Eva Asselmann im Gespräch mit Spektrum. [1] Doch viel zu oft wird aus eher unliebsamen Persönlichkeitsaspekten ein Problem gemacht, das es möglichst schnell zu beseitigen gilt. Dann finden wir uns im Selbstoptimierungswahn.


Die Big 5 unserer Persönlichkeit

Als Basis wird in der Persönlichkeitsforschung das Konzept der Big 5 herangezogen. Dies sind 5 Dimensionen, auf denen sich die menschliche Persönlichkeit abbilden lässt. Die 5 Dimensionen sind: Offenheit für Erfahrungen (die Aufgeschlossenheit), die Gewissenhaftigkeit (Zuverlässigkeit, Verlässlichkeit), die Extraversion (Geselligkeit), die Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperationsbereitschaft, Empathie) und der Neurotizismus (die emotionale Labilität und Verletzlichkeit). [2]

Eva Asselmann macht in ihrem Buch 4 weitere Persönlichkeitsaspekte auf: Selbstwirksamkeitserwartgung, Kontrollünerzeugung, Selbstwertgefühl und subjektives Wohlbefinden. [3] 


Individuation – die Entwicklung unseres Selbsts

Geprägt wurde der Begriff Individuation von dem Psychoanalytiker Carl Gustav Jung. [4] Gemeint ist damit die Selbstwerdung, die Entwicklung unserer Anlagen, Fähigkeiten und Möglichkeiten. Und auch die Veränderung unseres Selbsts.

Christina Berndt beschreibt als die Ursache dieser Veränderung unsere Resonanz mit der Welt.[2]

Aber auch die Gene spielen einen wesentlichen Teil in unserer Persönlichkeit. Aus Untersuchungen mit Zwillingsstudien wissen wir, dass etwas die Hälfte der Persönlichkeitsunterschiede zwischen Menschen auf Gene zurückzuführen sind. [5]

Das ist zwar eine ganze Menge, lässt aber noch einen großen Teil offen, z.B. sagt Christina Berndt werden wir stark vom Kontext beeinflusst, wie wir uns verhalten. Unser Verhalten hat nicht immer mit unserer Persönlichkeit zu tun. [2]

Die Veränderung unserer Persönlichkeit ist manchmal ganz schön heftig. Denn manchmal wechseln wir nicht nur einzelne Persönlichkeitsaspekte, sondern unseren kompletten Typus. [6]


Welche Lebensereignisse haben besonders großen Einfluss auf unsere Persönlichkeit?

Ganz besonderen Einfluss haben die Entscheidungen an den Gabelungen des Lebens, wie die Persönlichkeitsforscherin Jule Specht gemeinsam mit Boris Egloff und Stefan Schmukle herausfanden. [7] Umgekehrt gilt allerdings auch: Wenn wir dem immer gleichen Trott folgen, bleiben wir konstant.

Da es solche einschneidenden Ereignisse eher in jungen Jahren gibt (z.B. Einstieg ins Berufsleben, Umzug, Geburt von Kindern,...), verändert sich unsere Persönlichkeit dann eher als im hohen Alter. Wobei Menschen mit hohem Alter den sogenannten »Dolce Vita Effekt« erleben können. Ein Wegfall an Verpflichtungen im Ruhestand führt zum Beispiel zu einem Rückgang im Big 5-Aspekt »Gewissenhaftigkeit«.

Überraschend sind Befunde von Eva Asselmann, die zeigen: Der erste Job lässt uns mehr reifen als das erste Kind. Das lässt sich, laut Eva, auf das sogenannte soziale Investitionsprinzip zurückführen. Das geht davon aus, dass wir uns bei einschneidenden Ereignissen verändern, weil wir neue soziale Rollen einnehmen. Das tun wir zwar auch durch die Geburt des ersten Kindes, aber im Job sind diese neuen Rollenanforderungen klarer. Und es gibt sofort Feedback, wenn wir uns im Job nicht adäquat verhalten. [3]

Umgekehrt hat Eva herausgefunden, dass z.B. das Ende einer Beziehung unser psychologisches Wohlbefinden weit weniger beeinflussen, als man intuitiv annehmen. [8]

Zu diesen Befunden passt die Idee der sogenannten Setpoint-Theorie. Diese besagt, dass positive und negative Erfahrungen zwar dazu führen können, dass wir uns kurzfristig besser oder schlechter fühlen. Langfristig aber kehren wir wieder zu unserem gewohnheitsmäßigen Glückslevel zurück. Dass diese Annahme sogar für extrem stressreiche Erfahrungen wie den Tod eines geliebten Menschen zutrifft, zeigt Eva Asselmann in einer ihrer Studien. [9] 


Tipps – So kannst du deine Persönlichkeit verändern


Zuerst: Warum willst Du dich überhaupt verändern?

Beantworte dir diese zentrale Frage, bevor Du versuchst, deine Persönlichkeit zu verändern. Wir haben alle Eigenschaften, die wir nicht so gerne an uns mögen. Schnell wird uns dann vermittelt: Es ist nicht gut wie Du bist und deshalb musst Du dich zu einer besseren Version von dir selbst entwickeln. Vorsicht! Welche Persönlichkeit gerade gut oder schlecht ist, hängt vom Kontext ab, sagt Eva Asselmann. Besser als direkt an sich selbst rumzudoktern ist die Frage: Wie kann ich mir meinen Alltag so gestalten, dass er zu mir und meiner Wesensart passt?

Ist das nicht möglich oder hat man wirklich eine Persönlichkeitseigenschaft, an der man extrem leidet, dann gibt es Tricks, wie man diese wohlwollend und ohne Selbstoptimierungswahn verändern kann.


Konkrete Ziele sind wichtig

Meist stört uns eine Persönlichkeitseigenschaft nicht global, sondern nur in bestimmten Kontexten. Zum Beispiel kannst Du im Job sehr gewissenhaft sein, während zu Hause das Chaos herrscht. Stört dich das, dann kannst Du konkret überlegen, wie Du diese berufliche Gewissenhaftigkeit in dein Privatleben übertragen kannst.


Folge »Change Plans«

Aus den Forschungen von Nathan Hudson von der Southern Methodist University in Dallas ging nicht nur hervor, dass wir unsere Persönlichkeit verändern können. Seine Studien zeigen auch genau, wie es geht.

Einerseits müssen die Veränderungswünsche ganz konkret sein. Am besten lässt sich das mit »Wenn…, dann…«-Überlegungen anstellen. Zum Beispiel: »Wenn ich mich über etwas ärgere, das mein Mitbewohner sagt, dann werde ich ihm erzählen, wie ich mich damit fühle.«

Andererseits hatte Hudson für die Big 5-Eigenschaften eine Liste von 50 Challenges entwickelt. Diese sind jeweils auf eine der fünf Eigenschaften bezogen und variieren in ihrem Schwierigkeitsgrad. Hier findest Du die Liste auf Englisch. Auf Deutsch ist ein Teil davon in Christina Berndts Buch zu finden. [2]


Theater spielen ist erlaubt

»So tun, als ob« ist für Christina Berndt ein wesentlicher Baustein für bewusste Persönlichkeitsveränderung. Wenn man sich so verhält, wie man gerne sein würde, hilft das diese Veränderung langfristig zu manifestieren. [2]

Wenn man neue Verhaltensweisen ausprobiert, die mehr dem gewünschten Persönlichkeitsaspekt entsprechen, hält es Christina für sehr wichtig, auch einzukalkulieren, dass es mal schief gehen kann. Du kannst jeden Tag neu anfangen, ist ihr Credo. [2]
 

 


QUELLEN

[1] Menne, K. (2022). »Wir können uns aktiv verändern – ein Leben lang«. Spektrum.de.

[2] Berndt, C. (2019). Individuation: Wie wir werden, wer wir sein wollen–Der Weg zu einem erfüllten Ich. Deutscher Taschenbuch Verlag.

[3] Asselmann, E. (2022). Woran wir wachsen: Welche Lebensereignisse unsere Persönlichkeit prägen und was uns wirklich weiterbringt. Die neuesten Erkenntnisse aus der Persönlichkeitspsychologie. Ariston. 

[4] C. G. Jung: Gesammelte Werke. 7, § 266, 404.

[5] Polderman TJ et al. (2015): Meta-analysis of the heritability of human traits based on fifty years of twin studies. Nature Genetics, Bd.47, S.702–709.

[6] Specht J, Luhmann M und Geiser C (2014): On the consistency of personality types across adulthood: latent profile analyses in two large-scale panel studies. Journal of Personality and Social Psychology, Bd.107, S.540–556.

[7] Specht J, Egloff B und Schmukle SC (2011): Stability and change of personality across the life course: The impact of age and major life events on mean-level and rank-order stability of big five. Journal of Personality and Social Psychology, Bd.101, S.862–882.

[8] Dolan, E. W. (2022). Major romantic relationship events affect our psychological well-being much less than one would intuitively assume. PsyPost. 

Dittrich, L. (2022). Kontrollverlust: Eine Trennung kann schmerzhaft sein, unter Umständen aber auch stärker machen, zeigt eine Studie. Business Insider. 

[9] Asselmann, Eva und Specht, Jule (2022): “Changes in life satisfaction and different facets of affective well-being around the death of a partner and death of a child”, Applied Psychology: Health and Well-Being.