Verletzlichkeit - die gefährliche Superkraft

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Wir alle haben unsere Schwächen. Sie zu akzeptieren kann verdammt schwer sein. Noch schwerer wird’s, wenn wir diese Unzulänglichkeiten anderen zeigen sollen. Wir machen uns ungern verletzlich. Vor allem, weil wir Angst vor der Reaktion haben. In dieser Folge machen wir uns nackig, schauen tief rein in unsere Scheu vor Verletzlichkeit und machen klar, wann wir uns anderen öffnen sollten – und wann es richtig schaden kann.


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Verletzlichkeit im Trend

Wünschen wir uns eine Gesellschaft mit mehr Verletzlichkeit? Das Interesse lässt darauf schließen. Der TED-Talk »Die Macht der Verletzlichkeit« von Prof. Dr. Brené Brown hat über 19 Millionen Aufrufe und ist einer der erfolgreichsten TED-Talks aller Zeiten.

2018/19 installierten Künstler:innen an der Wand des Rubin Museum of Art in New York City eine »Geständnis-Mauer«. Dort konnten Menschen auf kleinen Zettelchen, anonym ihre Hoffnungen und Ängste schreiben. Diese Geständnisse wurden dann an der Wand aufgehängt.

Und auch auf Social Media hat Verletzlichkeit Einzug gefunden. Unter dem sogenannten »Vulnerability Porn« zeigen sich Influencer:innen verletzlich, öffnen sich öffentlich und geben ihre tiefsten Erfahrungen preis. Diese performative Verletzlichkeit nutzen manche aus, um ihren Follower:innen Geld aus der Tasche zu ziehen. Werbedeals gepaart mit Verletzlichkeit scheint eine erfolgreiche Masche zu sein. 


Was ist Verletzlichkeit?

Beantworte diese Frage gerne zunächst für dich selbst? Und geh dann weiter zu: Wie fühlt sich Verletzlichkeit für dich an?

Wissenschaftlich gesehen wurde Verletzlichkeit definiert als eine »authentische und bewusste Bereitschaft, sich in sozialen Situationen trotz Ängsten der Unsicherheit, dem Risiko und der emotionalen Belastung zu stellen«. [1] Wobei sich nicht alle Expert:innen bei dieser Definition einig sind. [2]

Ein verwandtes, psychologisches Konzept zur Verletzlichkeit ist »Selbstenthüllung« (Self Disclosure). Selbstenthüllung ist definiert als die Preisgabe persönlicher oder privater Informationen über die eigene Person an andere Personen. [3]


Wir haben Angst vor Verletzlichkeit

Wir haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten, wenn wir mit verletzlichen Situationen konfrontiert werden: Wir können uns entweder vor dem Gefühl der Verletzlichkeit verschließen oder uns auf die Situation einlassen und unsere Verletzlichkeit zeigen. Aus Angst, in einem negativen Licht wahrgenommen zu werden, entscheiden sich viele Menschen gegen das Zeigen von Verletzlichkeit. [2]

Und es kann auch tatsächlich nach hinten los gehen, wenn man sich zu verletzlich zeigt. Insbesondere für Mitglieder von Randgruppen. [4] Oder auch auf der Arbeit sollten wir gut überlegen, wann wir unser authentischstes Selbst zeigen. [5]

Wichtig dabei ist: Neben einem gewissen Risiko bringt Verletzlichkeit Vorteile mit sich. Verletzlichkeit kann z.B. Vertrauen und Intimität fördern. [6]

Außerdem unterliegen wir bei der Einschätzung vom Zeigen von Verletzlichkeit einer Verzerrung, nämlich dem »Beautiful Mess Effect«. Erforscht wurde dieser Effekt an der Uni Mannheim im Team rund um Anna Bruk. Ihre Untersuchungen zeigten, wir schätzen unsere eigene Verletzlichkeit als negativer ein als die Verletzlichkeit anderer. Und zwar über verschiedenste Szenarien hinweg. [2]


Richtig verletzlich zeigen


Wann Du dich verletzlich zeigen kannst – und wann lieber nicht

Nicht immer ist es angebracht, dass wir uns verletzlich zeigen. Beim Abwägen kann uns helfen, Kosten und Nutzen abzuwägen: Ist die Person die richtige, um sich verletzlich zu zeigen? Wenn ja, leidest du darunter, diese Information über dich nicht zu teilen? Wenn ja, dann ist es wahrscheinlich eine gute Idee Verletzlichkeit zu zeigen. [7]


Zeige zuerst Verletzlichkeit mit dir selbst


Das ist vor allem dann eine gute Idee, wenn es dir schwerfällt anderen gegenüber verletzlich zu sein. Sich selbst gegenüber verletzlich zu zeigen, klingt abstrakt. Ganz praktisch gehört z.B.Tagebuch schreiben dazu. Sich den eigenen Gedanken und Gefühlen gegenüber zu öffnen, ohne dabei zu bewerten, das ist Verletzlichkeit gegenüber einem selbst. [8]


Suche nach sicheren Räumen

Je unsicherer du dich fühlst, desto unwahrscheinlicher ist es, dass du dich verletzlich zeigst, und umgekehrt. [9]


Zeige dir gegenüber Selbstmitgefühl

In einer Anschlussstudie konnten Anna Bruk und ihr Team zeigen, der Beautifull Mess Effect sich reduziert, wenn sich die Versuchspersonen Selbstmitgefühl entgegen brachten. [1] Das heißt, gehst Du liebevoll und achtsam mit dir selbst um, machst dich nicht fertig für deine Fehler, dann rückst Du deine Verletzlichkeit in ein positiveres Licht. 



QUELLEN

[1] Bruk, A., Scholl, S. G., & Bless, H. (2022). You and I both: Self-compassion reduces self–other differences in evaluation of showing vulnerability. Personality and Social Psychology Bulletin, 48(7), 1054-1067.

[2] Bruk, A., Scholl, S. G., & Bless, H. (2018). Beautiful mess effect: Self–other differences in evaluation of showing vulnerability. Journal of personality and social psychology, 115(2), 192.

[3] Self-Disclosure. Dictionary APA. 

[4] Bruk, A. Wir alle machen Fehler (2022). Spektrum.

[5] Rosh, L., & Offermann, L. (2013). Be Yourself, but Carefully. Harvard Business Review.

[6]  Moore, M. (2022). The Good Kind of Vulnerability. PsychCentral. 

Tamir, D. I., & Mitchell, J. P. (2012). Disclosing information about the self is intrinsically rewarding. Proceedings of the National Academy of Sciences, 109(21), 8038-8043.

[7] Davis, T. Self-Disclosure: Definition, Examples, & Tips. Berkeley Well-Being Institute. 

[8] Dirshe, S. (2020). Why Be Vulnerable? The New York Times. 

[9] Katee, A. (2023). There’s a Difference Between Emotional Transparency and Emotional Vulnerability—Here’s Why That Matters. Well+Good.