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Machen Krisen stark?

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Die Welt ist voller großer und kleiner Krisen. Wie wir mit diesen Tiefpunkten umgehen sollen, ist perfekt zusammengefasst im Spruch »Was dich nicht umbringt, macht dich stärker.« Posttraumatisches Wachstum nennen wir das in der Psychologie. Werfen wir einen Blick in die Forschung wird deutlich, die einfache Gleichung Krise = Wachstum geht nicht auf. Wir klären, worauf es in harten Zeiten wirklich ankommt.



Was ist ein Trauma?


Die Psychotherapie-Ambulanz der Uni-Münster beschreibt als Trauma ein »zutiefst erschütterndes Ereignis, das häufig mit einer außergewöhnlichen Bedrohung für das Leben oder die Gesundheit einhergeht.« [1] Viele Menschen erleben ein solch traumatisches Ereignis, entwickeln daraus aber nicht automatisch eine Traumafolgestörung.


Was ist posttraumatisches Wachstum?

Richard Tedeschi und Lawrence Calhoun führten den Begriff in die Psychologie ein. Der Begriff »posttraumatisches Wachstum« bezieht sich auf positive psychologische Veränderungen, die als Ergebnis der Auseinandersetzung mit äußerst schwierigen Lebensumständen erlebt werden. Die Person hat nicht nur überlebt, sondern auch Veränderungen erfahren, die als wichtig angesehen werden und über den vorherigen Status quo hinausgehen. Ein solches Wachstum zeigt sich i.d.R. in fünf unterschiedlichen Facetten, beispielsweise wird das Leben mehr wertgeschätzt, Beziehungen werden intimer und man entwickelt ein größeres Gefühl persönlicher Stärke [2].

Dieses Narrativ, dass man an Krisen wächst, ist in unserer Gesellschaft sehr verbreitet. Man findet es zum Beispiel auch in vielen Geschichten, die jeder von uns kennt.

Wissenschaftlich lässt sich posttraumatisches Wachstum schwer erfassen. [3] Auch, weil wir Erinnerungen, die wir rückblickend per Fragebogen angeben, oft verzerrt darstellen. [4] Außerdem konnte man zeigen, dass erlebtes Wachstum mit tatsächlichem Wachstum nicht übereinstimmt. [5]

Zudem konnte eine Studie feststellen, dass posttraumatisches Wachstum und posttraumatische Belastungsstörung zusammenhängen. [6] Posttraumatisches Wachstum könnte also eine Art Bewältigungsstrategie darstellen. Ob diese allerdings tatsächlich bei der Bewältigung einer traumatischen Situation darstellt, kann noch nicht abschließend gesagt werden. [7] 


Wie können wir gut mit Krisen umgehen?


Keinen Druck bei Betroffenen aufbauen!

Ein Trauma überlebt zu haben, reicht als Leistung aus. Niemand sollte sich schämen müssen, wenn er oder sie es nicht schafft, Positives aus dem Trauma zu ziehen. [8]


Füreinander da sein

Die Studie zeigt: Wer aus seinem sozialen Umfeld Unterstützung erfährt, dem geht es nach einer Krise besser, der erfährt eher tatsächliches Wachstum. [9]

Die amerikanische Wissenschaftlerin Angela Duckworth fasst es so zusammen: Wachstum ist Herausforderung x Unterstützung. [10]


Individuelle Erfahrungen anerkennen

Posttraumatisches Wachstum kann für jeden Menschen anders aussehen und ist eine sehr subjektive Erfahrung – es gibt keine »Schablone« die für alle passt. 


Auf die eigenen Werte besinnen

Eranda Jayawickreme ist Psychologie-Professor an der Wake Forest University, North Carolina. Er forscht zu posttraumatischem Wachstum und sagt, dass wir durch Krisen daran gehindert werden, nach unseren Werten zu leben. In seinen Interventionen übt er mit seinen Proband:innen, trotz Widrigkeiten herauszufinden, was ihnen gerade wichtig im Leben ist. Dadurch verschiebt sich der Fokus weg von einer Identifikation mit der Krise. [11]


Redaktion: Mia Mertens, B.Sc.-Psychologin; Julia Weinstabl, M.Sc.-Psychologin

Produktion: Murmel Productions



QUELLEN

[1] Trauma & Traumafolgen. WWU Münster. Traumaambulanz der Psychotherapie-Ambulanz der WWU.

[2] Tedeschi, R. G., & Calhoun, L. G. (2004). " Posttraumatic growth: conceptual foundations and empirical evidence". Psychological inquiry, 15(1), 1-18.

[3] Jayawickreme, E., & Blackie, L. E. (2014). Post–traumatic growth as positive personality change: Evidence, controversies and future directions. European Journal of Personality, 28(4), 312-331.

[4] McFarland, C., & Alvaro, C. (2000). The impact of motivation on temporal comparisons: coping with traumatic events by perceiving personal growth. Journal of personality and social psychology, 79(3), 327.

[5] Frazier, P., Tennen, H., Gavian, M., Park, C., Tomich, P., & Tashiro, T. (2009). Does self-reported posttraumatic growth reflect genuine positive change?. Psychological science, 20(7), 912-919.

[6] Liu, A. N., Wang, L. L., Li, H. P., Gong, J., & Liu, X. H. (2017). Correlation between posttraumatic growth and posttraumatic stress disorder symptoms based on Pearson correlation coefficient: A meta-analysis. The Journal of nervous and mental disease, 205(5), 380-389.

[7] Dekel, S., Ein-Dor, T., & Solomon, Z. (2012). Posttraumatic growth and posttraumatic distress: A longitudinal study. Psychological Trauma: Theory, Research, Practice, and Policy, 4(1), 94.

Eisma, M. C., Lenferink, L. I., Stroebe, M. S., Boelen, P. A., & Schut, H. A. (2019). No pain, no gain: cross-lagged analyses of posttraumatic growth and anxiety, depression, posttraumatic stress and prolonged grief symptoms after loss. Anxiety, Stress, & Coping, 32(3), 231-243.

Hall, B. J., Saltzman, L. Y., Canetti, D., & Hobfoll, S. E. (2015). A longitudinal investigation of the relationship between posttraumatic stress symptoms and posttraumatic growth in a cohort of Israeli Jews and Palestinians during ongoing violence. PloS one, 10(4), e0124782.

Whealin, J. M., Pitts, B., Tsai, J., Rivera, C., Fogle, B. M., Southwick, S. M., & Pietrzak, R. H. (2020). Dynamic interplay between PTSD symptoms and posttraumatic growth in older military veterans. Journal of Affective Disorders, 269, 185-191.

Salsman, J. M., Segerstrom, S. C., Brechting, E. H., Carlson, C. R., & Andrykowski, M. A. (2009). Posttraumatic growth and PTSD symptomatology among colorectal cancer survivors: a 3‐month longitudinal examination of cognitive processing. Psycho‐Oncology: Journal of the Psychological, Social and Behavioral Dimensions of Cancer, 18(1), 30-41.

Zhou, X., Wu, X., & Chen, J. (2015). Longitudinal linkages between posttraumatic stress disorder and posttraumatic growth in adolescent survivors following the Wenchuan earthquake in China: A three-wave, cross-lagged study. Psychiatry Research, 228(1), 107-111.

Chen, J., Zhou, X., Zeng, M., & Wu, X. (2015). Post-traumatic stress symptoms and post-traumatic growth: Evidence from a longitudinal study following an earthquake disaster. PLoS One, 10(6), e0127241.

Frazier, P., Conlon, A., & Glaser, T. (2001). Positive and negative life changes following sexual assault. Journal of consulting and clinical psychology, 69(6), 1048.

Engelhard, I. M., Lommen, M. J., & Sijbrandij, M. (2015). Changing for better or worse? Posttraumatic growth reported by soldiers deployed to Iraq. Clinical Psychological Science, 3(5), 789-796.

García, F. E., Cova, F., Vázquez, C., & Páez, D. (2023). Posttraumatic growth in people affected by an occupational accident: A longitudinal multilevel model of change. Applied Psychology: Health and Well‐Being, 15(1), 409-424.

[8] Maercker, A., & Rosner, R. (2006). Psychotherapie der Posttraumatischen Belastungsstörung: Krankheitsmodelle und Therapiepraxis-störungsspezifisch und schulenübergreifend.

[9] Infurna, F. J., Luthar, S. S., & Grimm, K. J. (2022). Investigating posttraumatic growth in midlife using an intensive longitudinal research design: Posttraumatic growth is not as prevalent as previously considered. European Journal of Personality, 36(4), 576-596.

[10] Brautzsch, J. (2020). Was uns nicht umbringt, macht uns (nicht) stärker? MDR Wissen. 

[11] What We Gain From Pain. Hidden Brain Podcast. 

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