Deine Chance im Stimmungstief
Alles zur Betreutes Fühlen-Folge
Der Herbst ist da. Damit werden die Tage dunkler, nasser und kälter. Das schlägt auf die Stimmung. Wir sind müde, träge und melancholisch. Körper und Psyche gehen in den Energiesparmodus. Diesen »Herbstblues« kennen wir alle. Aber es kann kippen und wir finden uns in einer Winterdepression wieder. Oder? Gibt es diese saisonale Depression überhaupt? Dafür werfen wir einen Blick in die Wissenschaft. Außerdem geht es um riesige Spiegel in Norwegen, wie wir das positive »Wintermindset« nordischer Länder für uns nutzen können und Winterschlaf von Menschen.
Im Herbst geht der Körper in einen Energiesparmodus
Unser Biorhythmus unterliegt jahreszeitlich bedingten Schwankungen. [1] Wenn wir im Herbst und Winter weniger Sonnenlicht bekommen, beeinflusst das z.B. unseren Zirkadianen Rhythmus – unsere innere Schlaf-Wach-Uhr. [2] Das wiederum führt dazu, dass unser Körper mehr vom Schlafhormon Melatonin produziert und die Konzentration vom Glückshormon Serotonin abnimmt. Das führt zu Müdigkeit und gedrückter Stimmung, die wir gerne als »Herbst-Blues« bezeichnen. [3] Andererseits erhöht sich Testosteron im Herbst bei Männern und auch bei Frauen. [4]
Haben wir früher Winterschlaf gehalten?
Neuere Knochenbefunde unserer Vorfahren zeigen, Menschen könnten früher eine Art Winterschlaf gehalten haben. Die Höhle Sima de los Huesos in Spanien beherbergt Tausende solcher rund 430.000 Jahre alten Skelette. An denen konnten Paläoanthropolog:innen ablesen, dass es damals Zeiten gegeben haben muss, in denen unsere Vorfahren, ähnlich wie Tiere beim Winterschlaf, keine oder wenig Nährstoffe zu sich nahmen. Allerdings sind die Zusammenhänge mit einem potentiellen Winterschlaf bisher nur Vermutungen. [5]
Leidest du unter »Autumn Anxiety«?
Für die einen bringt die Herbstzeit glückliche Gedanken an neue Projekte, bunte Blätter und Kürbisgewürze mit sich. Für andere jedoch bringt das kühlere Wetter und die längeren Tage Gefühle von Panik und Angst mit sich. Das nennen Psycholog:innen »Autumn Anxiety« – Herbstangst. [6]
Nach Ansicht von Expert:innen können einige Ursachen für diese Angst der Beginn eines neuen Schuljahres, der drohende Stress in der Arbeit nach der Urlaubszeit oder mögliches Bedauern darüber sein, dass man im Sommer die gewünschten Ziele nicht erreicht hat. [7]
Wichtig: Autumn Anxiety ist keine anerkannte Diagnose.
»Winterdepression« – Saisonal-affektive Störung
Wenn wir uns in den dunkleren Jahreszeiten konstant schlecht fühlen und diese Melancholie unser Leben beeinflusst, dann könnte die sogenannte Saisonal-affektive Störung dahinterstecken, umgangssprachlich auch Winterdepression. [8]
Das erstmals in den 1980er Jahren beschriebene Syndrom ist durch jährlich wiederkehrende Depressionen gekennzeichnet, die jedes Jahr zur gleichen Zeit auftreten. Die meisten Fachkräfte betrachten die Saisonal-affektive Störung als eine Unterkategorie der generalisierten Depression oder, in einem kleineren Anteil der Fälle, der bipolaren Störung. [9]
In den deutschsprachigen Ländern leiden etwa 2,5 % der Bevölkerung daran. Etwa 80 % der Menschen, bei denen diese Krankheit diagnostiziert wird, erleiden im darauffolgenden Winter eine erneute depressive Episode, was sich negativ auf ihre Lebensqualität auswirkt. [10]
Allerdings fand eine Studie aus 2016 heraus, dass Saisonal-affektive Störung vielleicht gar nicht in der Form existiert, wie wir bisher dachten. [11]
Suizidzahlen steigen nicht im Herbst, sondern eher im Frühjahr
Viele glauben, dass sich die meisten Suizide in der kalten Jahreszeit ereignen, wenn die Menschen allein oder deprimiert sind. Doch das ist falsch. Die Suizidraten bleiben über das Jahr hinweg eher gleich bzw. gehen eher im Frühjahr hoch. [12]
Bisher gibt es nur Hypothesen, warum ein leichter Anstieg an Suiziden im Frühjahr zu verzeichnen ist. [13]
Auch, dass sin nordischen Ländern mehr Suizide begangen werden, ist ein Mythos. [14]
Tipps gegen den Blues der dunklen Jahreszeiten
»3 auf einen Streich«
Janin Kronhardt, Psychologin und Psychoonkologin am Sana Klinikum Lichtenberg in Berlin legt den Betroffenen von Winterblues etwas ans Herz, was sie »drei auf einen Streich« nennt: den täglichen Herbstspaziergang. Damit kannst Du 3 therapeutische Elemente miteinander kombinieren: Farb-, Licht- und Bewegungstherapie. [15]
Die warmen Farben der bunten Blätter tun uns gut. [16] Licht bringt unseren Biorhythmus in Schwung. Dieser Effekt wirkt aber nicht nur beim Rausgehen, sondern auch mit künstlichem Licht. Das zeigen Lichttherapien mit Tageslichtlampen. [1]
Eine spezielle Form der Lichttherapie bekommen die Einwohner:innen der Stadt Rjukan im südlichen Norwegen in den dunklen Wintermonaten. Der Künstler Martin Andersen hat an der Felswand, der die Stadt im Tal umgibt, drei gigantische Spiegel angebracht, damit zumindest etwas Licht in die Stadt kommt. [9] Euronews hat dazu einen kurzen Beitrag gemacht.
Aufwachen zur normalen Zeit
Wenn es draußen noch dunkel ist, fällt’s besonders schwer. Aber: Dein gesamter Schlafrhythmus kann durch spätere Weckzeiten oder Nickerchen während des Tages durcheinander gebracht werden, erklärte Rachel Manber, Leiterin des Stanford Sleep Health and Insomnia Program. »Diese Verhaltensweisen wirken sich negativ auf die biologische Uhr aus, die Schlaf und Wachsein reguliert, und führen daher zu Schlafproblemen«, sagt sie. [17]
Habe ein positives »Wintertime Mindset«
Hier können wir von den Skandinavier:innen lernen. Sie erleben einige der härtesten Winter, leiden aber vergleichsweise wenig an saisonalen Stimmungsproblemen. Warum? Weil diese Kulturen den Winter als Spielplatz und Vergnügen betrachten. Sie ändern ihre innere Einstellung zu Herbst und Winter. [18]
Diejenigen, die eine positive Einstellung zur Winterzeit haben, wenden konsequent drei Strategien an: Sie gehen raus, egal, wie das Wetter ist. Sie machen den Winter zu etwas Besonderem mit Ritualen und gemütlichen Kerzen. Sie schätzen den Winter, indem sie darauf achten, wie sie darüber sprechen.
Nutze den Herbst als Fresh Start
Der Herbst kann auf ähnliche Weise in unser Leben passen wie ein Geburtstag oder ein neues Jahr. Sie alle sind zeitliche Orientierungspunkte oder Momente, die eine Struktur dafür schaffen, wie wir die Zeit sehen und nutzen. [19]
Nimm dir in dieser Übergangsphase Zeit zu reflektieren und den Umbruch bewusst wahrzunehmen. [15]
Nutze Traditionen für’s soziale Miteinander
Der Herbst ist eine wunderbare Zeit für Traditionen, die Menschen zusammenbringen. Traditionen, die andere mit einbeziehen, stärken die sozialen Bindungen, schaffen gemeinsame Erinnerungen und vermitteln ein Gefühl der Kontinuität. In den Tagen vor dem Ereignis kannst Du dich außerdem auf etwas freuen. Diese Vorfreude allein hilft, einen schwierigen Tag zu überstehen. [20]
Schraub deine Erwartungen runter
Wenn es kalt und dunkel ist fährt unser Körper runter. Das ist normal. Trotzdem erwarten wir von uns, wie immer zu funktionieren. Damit sind wir zu hart zu uns selbst, sagt Dr. Eike Treis-Hoffmann, Fachärztin für Neurologie, Nervenheilkunde und Arbeitsmedizin aus Starnberg. [15] Wenn uns einmal nicht danach ist, nach einem langen Arbeitstag noch draußen im Dunklen zu joggen oder mit Freund:innen rauszugehen, ist es auch ok, dem Ruf nach Couch und Kuscheldecke nachzugeben.
[1] Jannig, M. (2022). Lichttherapie bei Depressionen. Apotheken Umschau.
[2] Blume, C., Garbazza, C., & Spitschan, M. (2019). Effects of light on human circadian rhythms, sleep and mood. Somnologie, 23(3), 147-156.
[3] Richard, J. (2021). How fall affects your mood, and how to cope. The Weather Network.
[4] Borelli, L. (2016). Fall Season Increases Testosterone Levels In Men And Women, Leading To Better Sex Life, Fertility. Medical Daily.
[5] Bartsiokas, A., & Arsuaga, J. L. (2020). Hibernation in hominins from Atapuerca, Spain half a million years ago. L'Anthropologie, 124(5), 102797.
[6] Stillman, J. Suffering Autumn Anxiety? Psychologists Explain the Causes and Cure for Fall Freak Outs. Inc.
[7] Cassata, C. (2019). Autumn Anxiety: Why You May Feel More Stressed This Season. Healthline.
[8] Seasonal Affective Disorder (SAD). American Psychiatry Assosciation.
[9] Geddes, L. (2017). Will Norway Ever Beat the Winter Blues? The Atlantic.
[10] Nussbaumer-Streit, B., Winkler, D., Spies, M., Kasper, S., & Pjrek, E. (2017). Prevention of seasonal affective disorder in daily clinical practice: results of a survey in German-speaking countries. BMC psychiatry, 17(1), 1-9.
[11] Traffanstedt, M. K., Mehta, S., & LoBello, S. G. (2016). Major depression with seasonal variation: is it a valid construct?. Clinical psychological science, 4(5), 825-834.
[12] Suizide. Statistisches Bundesamt.
[13] Unverzagt, G. (2012). Heißes und extremes Wetter erhöht die Suizidrate. Welt.
Frostenson, S. (2016). Suicide rates don't go up in the winter. They spike in the spring. Vox.
[14] Is suicide more common in the Nordics? (2022). Nordics.
[15] Hussendörfer, E. (2021). Tipps gegen den Herbst-Blues. Apotheken Umschau.
[16] So wirken Farben auf die Psyche. SWR1.
[17] Stieg, C. (2020). Dr. Fauci says we should prepare to ‘hunker down’ again — here’s how to mentally get through fall and winter. CNBC.
[18] Leibowitz, K. (2020). What Scandinavians Can Teach Us About Embracing Winter. The New York Times.
[19] Dai, H., & Li, C. (2019). How experiencing and anticipating temporal landmarks influence motivation. Current Opinion in Psychology, 26, 44-48.
[20]. Andrews, L. W. (2019). Three Ways Autumn Promotes a Happier Frame of Mind. Psychology Today.