Kennst Du schon Leons Klub? Dort begibst Du Dich gemeinsam mit Leon, Expert:innen und anderen Mitglieder:innen auf eine spannende Reise in die Welt der Psychologie. 

Die Rollen, die wir spielen

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

In unserer eigenen Welt, in unserem Alltag, müssen wir unglaublich vielen Rollen gerecht werden. Das Bild nach außen zählt! Es heißt immer so schön, sein authentisch. Sei du selbst! Aber mach das mal auf der Arbeit. Vor deinen Kindern. Vor deinen Eltern…Die Psychologie beschäftigt sich seit Jahren mit diesen Konflikten zwischen unseren Selbsts. Deshalb klären wir heute: In welche Rollen werden wir reingedrückt und warum? Was sind Rollenkonflikte? Und wie können wir uns von ungeliebten Rollen befreien?


Wir und unsere Rollen

Laut Frank Tallis, Psychologe und Autor von »The Act of Living«, erlernen Teenager ihre Rollen u.a. dadurch, dass sie mit ihren Peers Gespräche führen, die von außen vielleicht erstmal sinnlos erscheinen. Diese dienen jedoch der Entwicklung der Persönlichkeit, schaffen emotionale Verbindungen und das Aufdecken von inneren Werten.

Die psychologische »Role Theory« sagt, wir sind nicht ein Selbst, sondern definieren uns über viele Selbsts, die sich je nach Situation mehr oder weniger zeigen. (z. B. Mutter, Angestellte, Ehefrau).[1]

Leon nutzt als Bild von Schieberegler auf einem riesigen Mischpult. Jeder Regler entspricht einer Rolle. Die Regler sind unterschiedlich hoch und zeigen damit, die Rollen sind unterschiedlich wichtig – auch je nach Kontext. 

Viele Rollen können zu Rollenkonflikten führen

Jede dieser Rollen besteht aus einer Reihe von Rechten, Pflichten, Erwartungen, Normen und Verhaltensweisen, die eine Person zu erfüllen hat. [1]

Unterschiedliche Rollen können gut nebeneinander funktionieren. Aber sie können auch unvereinbar miteinander sein. Dann entsteht ein Rollenkonflikt, aus dem Stress enstehen kann (»Role Strain«) [2] 


Die Steigerung eines Rollenkonflikts: Role Overload

Ein Role Overload liegt vor, wenn eine Person mehrere Rollen gleichzeitig ausübt und ihr die Ressourcen für die Ausübung dieser Rollen fehlen. Sie kann sowohl durch übermäßige zeitliche als auch durch übermäßige psychische Anforderungen entstehen. [3]

Frank Tallis spricht in seinem Buch davon, dass zu diesen Rollenkonflikten und Role Overload das Internet wesentlich beiträgt, indem wir uns online anders darstellen, als wir sind. Viele versuchen einem ideal zu entsprechen, weil auch andere ihnen scheinbar eine solche Idealversion von sich zeigen.

Ein Rollenkonflikt kann der sogenannten Individuation dienen, schreibt Tallis. [4] Individuation ist der Werdegang eines Individuums. Im Individuationsprozess eines Menschen vervollständigt sich das Individuum. 


Und noch mehr Konflikte: Unsere 3 Selbsts - Ideal vs. Actual vs. Ought


Eng verwandt mit Rollenkonflikten sind Konflikte zwischen unseren 3 Selbsts verstärken. Diese entstammen der sogenannten Self-Discrepancy Theory vom amerikanischen Psychologieprofessor Tory Higgins.[5]

Er beschrieb bereits 1987 drei Selbstzustände: das Actual Self, das Ideal Self und das Ought Self.

Das Actual Self, das »aktuelle Selbst«, ist das Selbst, das wir glauben, zu sein. Es fasst unsere Eigenschaften, unsere Fähigkeiten, unser Denken, Fühlen und Handeln zusammen, so wie wir uns selbst sehen.

Das Ideal Self, das »ideale Selbst«, zeigt auf, wie wir gerne sein möchten. Es beschreibt die Idealvorstellung. Da wollen wir hin.

Das Ought Self, das »sollte Selbst«, ist die Vorstellung von den Eigenschaften, die
wir nach Ansicht anderer besitzen sollten oder müssten.

Wenn z.B. unser Ought Self vom Actual Self abweicht, fühlen wir uns nicht wohl. Diese Selbstkonflikte kennt jede:r und ist normal. Aber es kann kippen. Zum Beispiel, wenn unser Leben vom Sollte-Selbst bestimmt wird. 


Raus aus Rollenkonflikten

Erstmal die Situation erfassen

Frage dich: Wie sind die Anteile dieser 3 Selbsts gerade in der Situation, vor der Du stehst oder größer: in deinem Leben?

Wie weit bist Du von deiner Idealvorstellung entfernt? Was hält dich davon fern? Woher kommt deine Idealvorstellung? Und ist sie fair dir gegenüber oder ist dein Ideal-Selbst viel zu anspruchsvoll?

Und das Sollte-Selbst: Wie viel so-sollst-Du-sein wirkt in meinem Leben? Wem fühlst Du dich verpflichtet? Der Gesellschaft? Deinen Eltern? Deinen Kindern?


Unterschiedliche Rollen sind normal

Erstens: Unser Ideal-Selbst motiviert uns. Wir sind motiviert, einen Zustand zu erreichen, in dem unser aktuelles und ideales Selbst übereinstimmen.

Zweitens: Das Sollte-Selbst wird immer da sein. Also statt es zu verteufeln, müssen wir es akzeptieren. Die Frage ist dann nicht mehr, wie schaffe ich es, ohne Sollte- und Du-Musst-Sätze durchs Leben zu gehen, sondern wie kann ich ihnen etwas Macht nehmen.

Jeder Mensch leidet unter Rollenkonflikten. Dennoch können Rollenkonflikte gesund sein, denn sie helfen den Menschen, mit den verschiedenen Situationen des Alltags zurechtzukommen.

Es ist immer wichtig zu hinterfragen: Wozu spiele ich diese Rolle? Für wen oder was tue ich es? Entspricht es meinem aktuellen Selbst? Bringt es mich näher zu meinem idealen Selbst? Oder basiert meine Rolle auf dem Sollte-Selbst, gespeist durch das, was andere von mir erwarten?

Setze Maßstäbe für deine Rollen. Ein Zuviel des einen kann zu einem Konflikt mit dem anderen führen. Ein ausgewogenes Verhältnis ist wichtig. [6]


Verstehe die Grenzen, die deinen Rollen gesetzt sind

Definiere deine Rollen. Wo liegen die Grenzen deiner Rollen im Alltag? Zu wissen, in welchen Situationen welche Rollen Priorität haben und in welcher Intensität kann sehr hilfreich sein. [6]


Strebe nach einem konkreten idealen Selbst

Das ideale Selbst leitet uns dazu an, auf Hinweise für Leistung und erfolgreiche Zielverfolgung zu achten. Dies bezeichnet Higgins als einen »promotion focus«.

Im Gegensatz dazu wird der »prevention focus« durch das Sollte-Selbst definiert, bei dem wir auf die Vermeidung von Schaden achten.

Deshalb ist es langfristig besser für uns, nach dem Ideal Selbst zu streben.

Wie eine Studie aus dem Jahr 2003 erklärt, lässt sich das ideale Selbst im Gegensatz zum Sollte-Selbst »eher von abstrakten Werten als von konkreten Verhaltensbeschränkungen leiten« [7].

Dies steht im Gegensatz zu den Erwartungen an das Sollte-Selbst. Eine Studie von 2018 macht deutlich, dass »die Erwartungen des Sollte-Selbst in der Regel konkreter sind und spezifische Regeln beinhalten und daher leichter zu erfüllen sind. Das Bedauern über Ideale ist dagegen eher allgemeiner Natur: Sei ein gutes Elternteil, sei ein guter Mentor.« [8]

Dieser Mangel an Klarheit lässt viel Raum für Reue, denn selbst wenn man auf das Ziel hinarbeitet, ist man sich nie sicher, ob es ausreicht.

Deshalb, mach dein ideales Selbst so konkret wie möglich. 


Gib deinem Ideal-Selbst eine gewisse Dringlichkeit

In einer 2018 veröffentlichten Studie fanden die Psychologen Thomas Gilovich und Shai Davidai heraus, dass die dauerhaftesten Arten des Bedauerns diejenigen sind, bei denen es darum geht, dem eigenen Ideal nicht gerecht zu werden. [8]

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher demografischer Herkunft die Nichterfüllung ihrer Hoffnungen, Ziele und Bestrebungen stärker bedauern als die Nichterfüllung ihrer Aufgaben, Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten.

Die Autoren der Studie stellten fest, dass »die Menschen am häufigsten Dinge bedauern, die sie nicht getan haben und sich wünschen, sie hätten es getan, und nicht Dinge, die sie getan haben und sich wünschen, sie hätten es nicht getan.«

Während das Bedauern über eine Handlung im Laufe der Zeit abnimmt, nimmt das Bedauern über eine Untätigkeit mit der Zeit zu.

»Menschen unternehmen eher Schritte, um Bedauern in Bezug auf ihr Sollte-Selbst zu verringern, als in Bezug auf ihr Ideal-Selbst, [daher] wird Bedauern in Bezug auf das Sollte-Selbst eher als gelöst abgelegt und erscheint dadurch mit der Zeit weniger störend«, erklären die Autoren.

Im Gegensatz dazu wird das Bedauern über das Idealselbst nicht sofort gelöst, weil dieses Gefühl der Dringlichkeit fehlt. 


Manchmal braucht’s den Blick von außen

Dr. Tasha Eurich, Organisationspsychologin, Forscherin und Besteller-Autorin, fand in ihrer Forschung heraus, dass Menschen, die ihre externe Selbstwahrnehmung verbessert haben, dies taten, indem sie sich Feedback von liebevollen Kritikern (»Loving Critics«) holten, also von Menschen, die ihr Bestes im Sinn haben und bereit sind, ihnen die Wahrheit zu sagen. [9]


QUELLEN

[1] Barnett, R.C. (2014). Role Theory. In: Michalos, A.C. (eds) Encyclopedia of Quality of Life and Well-Being Research. Springer, Dordrecht.

[2] Nickerson, C. (2021). What ist Role Strain? Definition and Examples. Simply Psychology. 

[3] Role Overload. APA Dictionary. 

[4] Tallis, F. (2021). The Act of Living: What the Great Psychologists Can Teach Us About Surviving Discontent in an Age of Anxiety. Hachette UK.

[5]  Higgins, E. T. (1987). Self-discrepancy: a theory relating self and affect. Psychological review, 94(3), 319.

[6] Abir, S. (2017). How to resolve Role Conflict. Bizfluent. 

[7] Pennington, G. L., & Roese, N. J. (2003). Regulatory focus and temporal distance. Journal of Experimental Social Psychology, 39(6), 563–576.

[8] Davidai, S., & Gilovich, T. (2018). The ideal road not taken: The self-discrepancies involved in people’s most enduring regrets. Emotion, 18(3), 439–452.

[9] Eurich, T. (2018). What Self-Awareness Really Is (and How to Cultivate It). Harvard Business Review.  

Kennst Du schon Leons Klub? Dort begibst Du Dich gemeinsam mit Leon, Expert:innen und anderen Mitglieder:innen auf eine spannende Reise in die Welt der Psychologie. 

>