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Warum wir lieben, wie wir lieben

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Wenn wir klein sind, lernen wir, wie Beziehung geht. Diese Schablone nutzen wir viele Jahre später immer noch – egal ob sie funktioniert oder nicht. Gerade in Partnerschaften geht’s dann schnell um sowas wie er klammert zu viel, sie braucht mehr Freiraum, wer ist von wem abhängig usw. Die Psychologie hat eine recht simple Erklärung dafür. Wir sprechen über die Bindungstheorie, Beziehungstypen und den Mythos von Co-Abhängigkeit.

Was ist die Bindungstheorie?


Der Rest fällt in eine nicht kategorisierte desorganisierte Gruppe. [6]Bindungsstile und Bindungstypen sind aktuell im Trend. Gerade in Amerika nimmt der Hype zu, der langsam zu uns überschwappt. [1]

Die eigentliche Bindungstheorie wurde wesentlich vom englischen Psychiater und
Psychoanalytiker John Bowlby (1907-1990) und der Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth (1913-1999) ab Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Zuerst ging es nur um Kinder. [2]

Kinder brauchen eine Bindungsperson, die auf ihre Bedürfnisse angemessen und verlässlich reagiert. Nur so kann eine sichere Bindung entstehen. Eine unsichere Bindung entsteht hingegen, wenn sich Eltern gleichgültig verhalten.

Die Bindungstheorie basiert auf der Behauptung, dass das Bedürfnis nach einer engen Beziehung in unseren Genen verankert ist.

Die Bindungstheorie stellt ein klares Gegenmodell zu den damals vorherrschenden Erziehungspraktiken dar. In der Pädagogik während des Nationalsozialismus, maßgeblich geprägt von Johanna Harrer, war Härte das oberste Gebot. Körperliche und emotionale Nähe war verpönt. [3]

Bindungstheorie für Erwachsene
Die Bindungstheorie gilt nicht nur für Eltern-Kind-Beziehungen, sondern lässt sich auf Erwachsene umlegen und deren spätere (Liebes-) Beziehungen. Maßgeblich wurde diese Forschung von Cindy Hazan und Phillip Shave in den 1980er Jahren betrieben. [2]

Außerdem konnte gezeigt werden, dass nicht nur die Kindheit unseren Bindungsstil prägt, sondern auch unsere Gene und unsere Lebensumstände. Außerdem ist ganz wichtig, dass der Bindungsstil zwar recht stabil, aber nicht festgeschrieben ist. Das heißt, wir können einen alten, unsicheren Bindungsstil mit einem neuen, sicheren durch entsprechende Erfahrungen »überschreiben«. [4] 

Was ist die Basis der Bindungstheorie?
Es geht um das autonome Nervensystem und dieses zu beruhigen, sagt Amir Levine. Der Assistenzprofessor in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Columbia University und Co-Autor des internationalen Bestsellers »Warum wir uns immer in den Falschen verlieben« war in Auszügen in der Betreutes Fühlen-Folge zu hören.
Der Bindungsexperte beschreibt den Prozess, sich in einer Partnerschaft emotional gegenseitig zu regulieren (= Co-Regulation) als essentielle »Jobbeschreibung« für jede Person in einer Beziehung.
Er möchte auch damit aufräumen, dass wir »Abhängigkeit« in einer Beziehung als etwas Schlechtes sehen. Es gehört zu unserer Natur, andere Menschen zu brauchen, damit sie unsere Nervensystem, unsere innere »Alarmanlage« bei Gefahr runterregulieren. [4] 

Die 3 bzw. 4 Bindungsstile

Am einfachsten ist die Unterteilung in zwei Kategorien: sichere und unsichere Bindungsstile.
Die unsicheren lassen sich noch einmal aufteilen in ängstlich und vermeidend. [4]

Die meisten Menschen sind sicher gebunden (50-60 %), etwas über 20 % vermeidend und 10-20 % ängstlich.

Der Rest fällt in eine nicht kategorisierte desorganisierte Gruppe. [6]

In einer Beziehung warm und liebevoll zu sein, ist für Menschen mit einem sicheren Bindungsstil selbstverständlich. Sie genießen es intim zu sein, ohne sich allzu große Sorgen um die Beziehung zu machen.

Menschen mit einem ängstlichen Bindungsstil lieben es, einem/r Partner:in sehr nahe zu sein. Sie befürchten jedoch oft, dass ein/e Partner:in ihnen nicht so nahe sein möchte, wie sie es sich wünschen.

Im Wesentlichen bestimmen die beiden Dimensionen Angst und Vermeidung unseren Bindungsstil. [5]
Für Menschen mit einem vermeidenden Bindungsstil ist es sehr wichtig, ihre Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu bewahren. Sie ziehen Autonomie oft intimen Beziehungen vor.

Die Erfassung des eigenen Bindunsstils ist recht komplex und lässt sich nicht durch ein kurzes Online-Quiz feststellen. Aber allein eine Idee zu bekommen, wo man sich einordnen könnte, kann hilfreich sein und zum Verständnis vom eigenen Beziehungsverhalten beitragen.

Zwei spannende Studien zum Bindungsstil – über Liebeslieder und Körpergeruch

In einer aktuellen Studie von Ravin Alaei und Kolleg:innen von der Universität Toronto aus dem Jahr 2022 wurde untersucht, wie die Texte unserer Lieblingssongs mit unserem Bindungstyp zusammenhängen können. [7] Die Untersuchung fand heraus, dass wir dazu neigen, die Lieder über Beziehungen zu hören, die unsere eigenen Erfahrungen widerspiegeln. Dies gilt insbesondere dann, wenn wir eine vermeidende Bindung haben.

Eine weitere Studie von 2022 unter Amy Shel von der Macquarie University in Sydney legt nahe, dass Menschen den Körpergeruch ihres/r Partner:in je nach ihrem Bindungsstil unterschiedlich empfinden. [8]. Teilnehmer mit abweisend-vermeidendem Bindungsstil (Unterkategorie vom vermeidenden Bindungsstil) wiesen unter den vier Stilen die höchsten Ekelwerte gegenüber dem Körpergeruch ihres aktuellen Partners/ihrer aktuellen Partnerin auf. Eine Erklärung könnte sein, dass der Ekel ein Nebenprodukt der verringerten emotionalen Intimität in der Beziehungen ist.

So kannst du die Bindungstheorie für dich nutzen

Grundsätzlich ist es schwieriger, wenn zwei Menschen mit unsicheren Bindungsstilen ein Paar bilden. Insbesondere eine ängstliche und eine vermeidende Person. Die beiden laufen dann Gefahr, in einem Teufelskreis zu landen.
Der ängstlich gebundene Part möchte immer mehr Nähe - was in der vermeidend gebundenen Person zu mehr Rückzug und Wunsch nach Freiraum führt.
Laut Levine kann eine solche Beziehung aber trotzdem funktionieren, wenn allen Beteiligten klar ist, worum es geht und klare Regeln gesetzt werden. 

Generell ist es immer eine gute Idee, sich am Verhalten von sicher gebundenen Personen zu orientieren und sich die Frage zu stellen »Was würde eine sichere Person tun?« Außerdem empfiehlt Levine die Suche nach einem »Secure Buddy«, eine sicher gebunden Person, die man z.B. beim Streit in der Beziehung anruft und die beim Einordnen der Situation helfen kann.

Eine weitere spannende Strategie, die Levine empfiehlt: Nutze Metakognition. Drücke z.B. im Streit selbst schon aus, dass du gerade nicht anders als wütend reagieren kannst, während du wütend bist. Zugegeben, das kann recht schwer sein, aber gibt der anderen Person Raum und verletzt weniger.

Mehr Tipps gibt es in Levines Buch. [4]

Wichtig zum Schluss: Es gibt keinen schlechten Bindungsstil

Liest man sich ein bisschen in die Bindungsstile ein, entsteht schnell der Eindruck: unsicher gebunden sein bedeutet gleich schlecht gebunden sein. Das ist falsch, sagen Expert:innen. [9] Die Bindungstheorie konzentriert sich darauf, wie wir uns in der Qualität unserer Bindungen in Bezug auf Sicherheit unterscheiden. Wenn wir mit Eltern aufwachsen, die nicht unsere Bedürfnisse im Blick haben, ist es wichtig, dass wir entsprechend reagieren. Das kann in einem unsicheren Bindungsstil enden, der uns später auf die Füße fallen kann. Aber in dem Moment als Kind war unser Verhalten wichtig.

Außerdem haben alle Bindungsstile Vor- und Nachteile. Ein Nachteil von sicher gebundenen Menschen, so Levine, sei es, dass sie zu häufig das Verhalten des/r Partner/in entschuldigen, obwohl es schon Grenzen überschreitet. Vor allem, wenn die Beziehung schon länger besteht.

Eine Studie konnte zudem zeigen, dass eine stabile und glückliche Beziehung nicht unbedingt einhergehen muss. So sind sicher Gebundene in weniger stabilen Beziehungen als unsicher gebundene. Allerdings sind Sichere wesentlich zufriedener mit ihren Partnerschaften. [10]

Nicht zu vergessen ist auch, dass Kategorien immer schwierig werden können. Siehst du dich z.B. als ängstlich gebunden, kann es sein, dass diese Annahme zur selbsterfüllenden Prophezeiung wird und du dich automatisch immer so verhältst, wie es dein angeblicher Bindungsstile vorgibt. [11]

Von einigen kommt außerdem Kritik, dass die Bindungstheorie zu stark vom westlich geprägten Erziehungskonstrukt ausgeht. [12]

QUELLEN

[1] Spratt, V. (2022). Has Attachment Theory Gone Too Far? Refinery 29.

[2] Ayerle, N. (2021). Wie der Bindungsstil trennt und zusammenhält. Spektrum. 

[3] Weidt, E. (2022). "Dann, liebe Mutter, werde hart!" – Wie NS-Ratgeber die Erziehung bis heute prägen. SWR2 Wissen. 

[4] Levine, A., & Heller, R. (2010). Attached: the new science of adult attachment and how it can help you find-and keep-love. Penguin.

[5] Neumann, Eva; Rohmann, Elke; Bierhoff, Hans-Werner (2007). Entwicklung und Validierung von Skalen zur Erfassung von Vermeidung und Angst in Partnerschaften. Diagnostica, 53(1), 33–47.

[6] Mickelson, K. D., Kessler, R. C., & Shaver, P. R. (1997). Adult attachment in a nationally representative sample. Journal of personality and social psychology, 73(5), 1092.

[7] Alaei, R., Rule, N. O., & MacDonald, G. (2022). Individuals' favorite songs' lyrics reflect their attachment style. Personal Relationships.

[8] Shell, A., Blomkvist, A., & Mahmut, M. K. (2022). Particular body odors matter: Disgust sensitivity differs across attachment groups. Journal of Applied Social Psychology, 52(10), 990-1001.

[9] Vrtika, P. (2022). Attachment theory: what people get wrong about pop psychology’s latest trend for explaining relationships. PsyPost.

[10] Kirkpatrick, L. A., & Davis, K. E. (1994). Attachment style, gender, and relationship stability: a longitudinal analysis. Journal of personality and social psychology, 66(3), 502.

[11] Gray, C. Attachment theory: why lockdown has made us all obsessed with the psychology of relationships. Stylist. 

[12] Freund, A. (2022). Nicht nur die Mutter ist eine wichtige Bindungsperson. DW.

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