Psychische Probleme - und jetzt?

Alles zur Betreutes Fühlen-Folge

Mehr als jede:r Vierte erfüllt im Jahr die Kriterien einer psychischen Störung. Davon holt sich aber nur ungefähr jede:r fünfte Hilfe. Das ist fatal. Denn psychische Erkrankungen sind gefährlich, schaden nicht nur Einzelpersonen, sondern auch unserer Gesellschaft. Diese Folge geht tief rein in unser psychisches Versorgungssystem. Zwei tolle Gäste kommen zu Wort, Experte Prof. Dr. Arno Deister und Betroffene Nora Fieling. Es geht um lange Wartezeiten, ein System mit Schwächen und darum, wo wir Hilfe bekommen können.



Unsere beiden Gäste

In dieser Folge kam zum einen Prof. Dr. Arno Deister zu Wort. Arno Deister ist Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Neurologie und Forensische Psychiatrie und außerdem Psychotherapeut. Er ist Vorsitzender des Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit. Bis 2022 war er Mitglied des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. (DGPPN) und 2017/18 Präsident dieser wissenschaftlichen Fachgesellschaft. 

Zum anderen haben wir eine Betroffene eingeladen, die lange Zeit auf Therapieplatzsuche war. Geendet hat es mit einer Selbsteinweisung in die Psychiatrie. Nora Fieling ist heute auf Social Media als Erfahrungsexpertin aktiv und hat ein Buch über Depressionen geschrieben, um Betroffenen von psychischen Störungen und ihren Angehörigen zu helfen. 


Warum ist die psychotherapeutische Versorgung wichtig?

Laut DGPPN erfüllt bundesweit jeder dritte bis vierte Erwachsene im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Jede dritte Person in Deutschland bezeichnet sich selbst als psychisch krank, laut dem AXA Mental Health Report 2023. Von den fast 18 Millionen Betroffenen sucht sich allerdings nur ca. jede fünfte Person Hilfe. [1]

Wichtig dabei: Die Häufigkeit psychischer Erkrankungen bleibt über die Jahre relativ stabil. Jedoch werden psychische Erkrankungen immer häufiger erkannt, diagnostiziert und behandelt. [2]

Psychische Störungen können gefährlich werden. Im Schnitt sterben in Deutschland täglich 25 Menschen durch Suizid. Das ist weit mehr als alle Drogen-, Verkehrs- und Aids-Tote zusammen. Die Zahl der Suizidversuche ist schätzungsweise 15– bis 20–mal so hoch. [3] 

Einem Suizid geht häufig eine psychische Erkrankung voraus. Psychische Störungen erhöhen das Risiko eines Suizides um das 30- bis 50-Fache gegenüber der Allgemeinbevölkerung. [4] Laut Bundespsychotherapeutenkammer begehen 15 % der an schweren Depressionen Erkrankten Suizid; 56 % versuchen, sich das Leben zu nehmen. Bis zu einem Alter von 29 Jahren ist der Suizid die zweithäufigste Todesursache nach Unfällen in dieser Altersgruppe. [5]

Im Schnitt sterben Menschen mit schweren psychischen Störungen zehn bis zwanzig Jahre früher. [6]

Psychische Erkrankungen gehören zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeits-Tage und sind oft mit langen Ausfallzeiten verbunden. [7]


Wie sieht die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland aus?

Die Versorgungslage für psychisch kranke Menschen wird seit Jahren kritisiert. Die Antwort auf die kritischen Stimmen: Reform der Psychotherapie-Richtlinie im April 2017. Mit der Reform der Psychotherapie-Richtlinie im April 2017 wurden neue Behandlungselemente in die ambulante Psychotherapie eingeführt. Die Erreichbarkeit der Psychotherapeuten wurde verbessert, die Psychotherapeutische Sprechstunde und Psychotherapeutische Akutbehandlung sowie eine Rezidivprophylaxe etabliert. [7]

Aber: 2023 spricht man im Schnitt immer noch von 5 Monaten Wartezeit für einen Psychotherapieplatz. [8] 

Die Ankündigung der Ampelregierung im Koalitionsvertrag, Wartezeiten zu reformieren, wurde bislang nicht umgesetzt. 

Eine gute Erklärung, warum wir überhaupt diesen Psychotherapieplatz-Mangel haben, erklärt Dietrich Munz, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, im Gespräch mit Psychologie Heute 2018.

Neben der Schwierigkeit einen Therapieplatz zu bekommen, gibt es noch ein anderes Problem: Die Schwelle, sich Hilfe zu suchen, ist durch Wartezeiten und Stigma noch immer hoch. Deister stimmt zu und meint, dass Menschen mit psychischen Problemen glauben, sie seien Versager:innen. 

Ein weiteres Problem der mangelnden Versorgung führe dazu, dass wenig qualitative Hilfsangebote entstehen. 

Nora betont, dass die allermeisten gar nicht wüssten, wohin sie sich bei Not wenden können. Deshalb hier eine kleine Übersicht: 


Wie bekomme ich Hilfe?

Wir haben auf WeMynd eine Seite eingerichtet mit wichtigen Anlaufstellen, die wir laufend updaten: www.wemynd.de/anlaufstellen

Außerdem hat die Zeit eine klasse Infografik erstellt: So finden Sie einen Threapieplatz.

Leon empfiehlt den Insta-Account stark_gegen_depression von der Deutschen Depressionshilfe und der Account der Deutschen DepressionsLiga.


QUELLEN

[1] Basisdaten Psychische Erkrankungen. DGPPN (Stand: Januar 2023).

[2] Richter, D., Wall, A., Bruen, A., & Whittington, R. (2019). Is the global prevalence rate of adult mental illness increasing? Systematic review and meta‐analysis. Acta Psychiatrica Scandinavica, 140(5), 393-407.

[3] Suizidalität. Stiftung Deutsche Depressionshilfe und Suizidprävention. 

[4] Brieger, P., Menzel, S., & Hamann, J. (2022). Wird die Rolle von psychischen Erkrankungen beim Suizid überbewertet?. Bundesgesundheitsblatt, Gesundheitsforschung, Gesundheitsschutz, 65(1), 25.

[5] Kopatzki, J., M'Barek, Y., & Vanessa, V. (2021). Wir sind zur Therapie. Zeit Online. 

[6] Firth, J., Siddiqi, N., Koyanagi, A. I., Siskind, D., Rosenbaum, S., Galletly, C., ... & Stubbs, B. (2019). The Lancet Psychiatry Commission: a blueprint for protecting physical health in people with mental illness. The Lancet Psychiatry, 6(8), 675-712.

[7] Report Psychotherapie 2021. Deutsche PsychotherapeutenVereinigung. 

Gesundheitsreport Arbeitsunfähigkeiten. Techniker Krankenkasse 2021. 

[8] Report Psychotherapie 2021. Deutsche PsychotherapeutenVereinigung. 

[9] Wengert, J. (2023). Das lange Warten auf mehr Therapieplätze. ZDF.

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